Eine satirisch-psychologische Betrachtung

Eine neue Tugend ist geboren
oder
wie man heutzutage ein guter Mensch wird
von Prof. Dr. Boglarka Hadinger

Ich bin ein guter Mensch. Jawohl, ich bin es wirklich: ein Piks, ein Stich, ein Vergnügen und jetzt bin ich ein solidarischer, guter Mensch, ein verantwortungsvoller obendrein. Ich habe "Impfmoral", heißt es nun und habe "alles richtig gemacht". Mit einem Stich, also durch die Impfung, wurde ich ein ethisch Adeliger.
Früher war es schwerer. Früher mussten unsere Vorfahren erst vielen Feinden viele Köpfe abschlagen und selber Arm und Bein, meistens beide, verlieren, bis eine Königin sie durch den Ritterschlag zum Adeligen, also zu einem edlen Menschen machte. Früher gab es Frauen, die durch die Ehe in den Adelstand gehoben wurden, aber hierfür mussten sie einen unerträglichen Mann ein Leben lang erdulden. Mein Großonkel stand einst schreckliche Folter durch, nachdem er jüdische Menschen in den Katakomben seines Klosters versteckt hatte, bis schließlich andere erkannten, dass er ein edler, also ein guter Mensch war.

Heute ist es einfacher. Als ich mit der Bahn zu der Impfstraße fuhr, hatte ich noch den Ruf eines dummen, rechtsorientierten, ungebildeten Querdenkers. Wir sind verantwortungslos, hieß es, gefährlich für andere und unsolidarisch mit der Gesellschaft. Unserer Regierung und der Leitmedien zufolge sind nämlich alle Ungeimpften unmoralisch, also ethisch minderwertig.

Menschen einer minderwertigen Klasse sind dankbar für jedes Entgegenkommen, das von den Höherwertigen ausgeht

Menschen einer minderwertigen Klasse sind dankbar für jedes Entgegenkommen, das von den Höherwertigen ausgeht. So nahmen wir alle dankbar die Erlaubnis unserer Obrigkeit an, an kalten Wintertagen noch mit der Bahn fahren zu dürfen. Die vorläufige Genehmigung der Regierung, gemeinsam mit den ethisch wertvollen Menschen in einem Abteil sitzen zu dürfen, machte die Menschen ein wenig unsicher, aber auch glücklich.
Unsicher, weil wir Ungeimpfte schon längst aus Bildungshäusern und Gaststätten, aus Theatern, Konzert- und Kaufhäusern entfernt, von Ausflugsorten, Freizeittätigkeiten, Familienfesten, Fortbildungsmöglichkeiten und Kulturangeboten ferngehalten wurden. Wenn wir aus dem Haus gingen, mussten wir in Österreich stetig die Polizeikontrolle und hohe Strafen fürchten. Wir durften seit Monaten nicht mehr die vereinsamte Mutter im Pflegeheim besuchen, einen Angehörigen vom Zug abholen, mit der Familie einen Ausflug machen, eine Berufsausbildung, die ein Praktikum erfordert, absolvieren oder einfach nur spazierengehen, um ein wenig Licht und Luft tanken und ein paar Menschenseelen sehen zu können. Arbeiten mussten wir, damit unsere Steuergelder in die Regierungskasse fließen.
So ehrt und verunsichert natürlich die großzügige Genehmigung, noch mit der Bahn fahren und dort sogar Platz nehmen zu dürfen. Zumal längst angekündigt wurde, dass die Geduld der ethisch wertvollen Menschen, die alles richtig gemacht haben, mit uns bald zu Ende ginge.

Ethische Wandlungen erfolgen heutzutage sehr geschmeidig und schnell

Ethische Wandlungen erfolgen heutzutage sehr geschmeidig und schnell. Man vergeudet nicht so viel an Kraft und Zeit wie früher. Ein Stich, ein Piks, ein Impfpass - und schon ist man geadelt! So kamen wir alle, die in die Impfstraße hineingingen, als hochmoralische, solidarische, gute Menschen wieder hinaus. Die neue Ethik unserer Regierung entfaltet ja ihre innerseelische Wirkung im Nu.
Auch der Politiker, der Unmengen an schmutzigen Maskendeals und Impfstoffaktien verdient, schritt stolz aus der Ge(n)adelungsstraße. Ebenso mein Nachbar, der seine Frau regelmäßig krankenhausreif prügelt. Jetzt gehörte auch er zu den Schützenden, Wertorientierten und Solidarischen. Also zu denen, die alles richtig gemacht haben. Da war natürlich auch der Pensionist, der so gerne Kinderpornos einkauft, mit dabei. Wir alle wurden durch einen einzigen Piks zu verantwortungsvollen, edlen Menschen.
Jawohl! Unsere Regierung und ihre Leitmedien bestätigen das tagtäglich und wir glauben daran.

Wer von uns hat die Politiker gewählt, damit sie unseren Willen formen?

Um zwischen den guten und den schlechten Menschen einwandfrei unterscheiden zu können, werfen sich auch christliche Zeitungen ins Zeug: Da zeichnet beispielsweise Publik-Forum eine hässliche Gruppe von ungepflegten, breitgesichtigen, derben Leuten. Das sind die, die gegen die Zwangsimpfung demonstrieren. (1) Bedrohlich sehen diese Gestalten aus. Exakt so, wie vor etwa achtzig Jahren die sogenannte mindere Klasse unseren Eltern präsentiert wurde.

Auf die andere Seite zaubert die christliche Zeitschrift das Edle, das Gute, das Hoch-wertige. Also eine schöne, geimpfte junge Frau. Fein und freundlich ist sie, eine bezaubernde Maske trägt sie, mild und glücklich lächelt sie und so präsentiert sie uns ihren zarten, geimpften Arm. Es ist, als ob ein leiser Heiligenschein ihre feine Gestalt umhüllte.
Um den Zweck der Darstellung gar nicht zu verbergen, sticht einem die Überschrift ins Auge: "Die Politik sollte den Mut haben, den Bürgerwillen zu formen!". (2) Welche Überraschung. Wer von uns hat einen Politiker gewählt, damit dieser unseren Willen formt? Auch wurde in meiner Schule noch gelehrt, dass die Politik den Bürgern zu dienen habe. Damals schrieb man das Formen und Verformen vor allem Diktaturen zu. Aber die Zeiten - und auch ihr Ethos ‐ ändern sich im Augenblick, je nach Interessenslage.

In der Bahn saßen mehrere Menschen, die an diesem Tag durch den Piks in die neue ethische Klasse aufgenommen wurden. Die Zugehörigkeit zu den Verantwortungsvollen und Solidarischen sah man an den Haaren: Sie durften das erste Mal wieder zum Friseur. Man sah es auch an der Kleidung: Ihnen wurde erlaubt, ein Kaufhaus zu betreten, um Winterschuhe und eine Winterjacke zu kaufen. Und an der Haltung.

Früher wurden die neu Geadelten mit der Kutsche nach Hause gefahren. Doch auch aus den Fenstern der Bahn konnte man gut auf die Leute herunterschauen, die ethisch noch nicht so weit waren wie wir. Da ging die Schulärztin, die soeben aus ihrer Stelle geworfen wurde, weil sie nicht allen Eltern die Kinderimpfung empfohlen hatte. Die polnische Pflegerin, die noch die Stimmen der Diktatur im Ohr hatte und sie jetzt wiedererkennend, sehr misstrauisch wurde. Ein Geschichtslehrer, der seine Schüler bislang leidenschaftlich für Demokratie, Menschenrechte und für den Blick auf die Menschenwürde begeisterte und nun zwei Jugendliche hätte denunzieren müssen, weil diese einen QR-Code aufs Handy geschmuggelt hatten. Auch ein Journalist stand etwas verloren da. Er recherchierte gerade über die junge Familie aus Brandenburg, die Anfang Dezember durch einen erweiterten Selbstmord in einer einzigen Nacht ausgelöscht wurde: Vater, Mutter und drei kleine Kinder. Das geschah, nachdem der Vorgesetzte der Mutter entdeckte, dass sie eine gefälschte Eintragung in ihrem Impfpass hatte und die Eltern wussten, dass sie von nun an wie Kriminelle behandelt und bestraft werden, ihre Arbeitsstelle verlieren, den Kredit für ihr Familienhaus nicht mehr zahlen können und, während sie ein Jahr lang im Gefängnis inhaftiert werden, ihren Kindern die Zwangseinweisung in ein Heim bevorstand. Die neue Ethik unserer Regierung sieht diese Strafe für eine falsche Eintragung im Impfpass vor.

Auch meine Kollegin, eine Immunologin, war in der Gruppe der ethisch Minderwertigen. Sie wusste, dass Geimpfte genau so ansteckend sein können wie Ungeimpfte und zweifelte, ebenso wie ich, den Sinn des wahllosen Dauerimpfens an. Auch sie hatte erlebt, wie zwei meiner Studentinnen gleich nach dem ersten "Stich" schwerste Behinderungen davontrugen.

Wie lange lassen wir, die wir jetzt "die Solidarischen" heißen, die Demütigung anderer Menschen noch zu?

Was wird mit den ungeimpften Menschen noch geschehen? Wie viel Strafe, wie viel Demütigung wird ihnen - und jenen, die sie unterstützen - noch zugefügt? Und: Wie lange lassen wir, die wir jetzt "die Solidarischen" heißen, diese Demütigung noch zu? So fragen sich einige, die oben in der Bahn sitzend auf die anderen herunterschauten. Für diese Leute muss die Luft dünner werden, droht ein Politiker aus Berlin. Wir werden den Druck auf euch erhöhen! Es wird ungemütlich für euch werden! Wir werden die Zügel straffer ziehen, drohen andere Regierungsmitglieder. Du sollst sie meiden, lautet das neue Gebot in der Weihnachtszeit, an den Tagen, die früher einmal Festtage der Liebe und der Menschlichkeit waren. An der Universität habt ihr Ungeimpfte nichts zu suchen, schreibt abfällig der Professor einer Hochschule an seine Studenten. Wer beim illegalen Einkauf erwischt wird, zahlt mehr als 1000.-­‐ Euro Strafgeld, erfahren wir aus den Nachrichten (3) und gemeint ist nicht der Drogenhandel, nicht ein Diebstahl, sondern eine Mutter, die für ihr Kind eine warme Jacke und Schuhe einkaufen und korrekt bezahlen wollte.

Ausgrenzen soll man sie alle, jubelt in der medialen Öffentlichkeit ein berühmter Vertreter des Sports. Durch eine natürliche Infektion bist du "schmutzig geimpft", lautet die feine Wortwahl des Gesundheitsministers Lauterbach. Und die Ironie des Schicksals will, dass der "sauber und dreifach, also vollständig immunisierte" österreichische Kanzler Nehammer länger als üblich ansteckend ist, nachdem er durch seinen "sauber und dreifach, also vollständig immunisierten" Bodygard ohne Probleme mit Corona angesteckt wurde. (4) Und das geschah just in den Tagen, an denen der militante Politiker seine neuen Gesetze zur Zwangsimpfung und weitere Verbote und Strafen für jene Menschen angekündigt hat, die selber bestimmen wollen, was in ihren Körper hineingespritzt wird und was nicht.
Du darfst diesen Ungeimpften keine Zuflucht und keine warme Mahlzeit mehr geben, heißt ein weiteres Gebot, also ein frisches Gesetz der christlichen Regierung für die Winterzeit. Es richtet sich an Hüttenbetreiber, Gastwirte und an alle, die anderen Menschen ein Essen oder ein Bett zu Verfügung stellen könnten. Ein Ungehorsamer, also jemand, der es wagt, einen frierenden Ungeimpften aufzunehmen oder ihm gar ein warmes Essen zu reichen, gilt nun als Rechtsbrecher. So ermöglichen es unsere neuen Gesetze, dass Barmherzigkeit kriminalisiert wird und zum Berufsverbot oder gar zur Vernichtung der Existenz führt. Wer früher als menschlich galt, wird nun zu einem Kriminellen.

Eingepackt in hübsche ethische Worte wird Unmenschlichkeit, Mobbing, Diskriminierung, Denunziation und die psychische Hetzjagd zur staatlich anerkannten und medial geförderten Tugend

Meldet es, wenn eure Ärzte den neuen Gesetzen nicht gehorchen oder sie für bedenklich halten, so lautet die frisch entstandene Moral. Eingepackt in hübsche ethische Worte, wie "Solidarität", "Verantwortung", "Werte" und "Schutz", wird Unmenschlichkeit, Mobbing, Diskriminierung, Denunziation und die psychische Hetzjagd zur staatlich anerkannten und medial geförderten Tugend. Die so genannten Qualitätsjournalisten euphorisieren sich sogar über die hoffnungsvolle Nachricht, dass Menschen der minderen Klasse auf den Intensivstationen angeblich "nur so röcheln". Vergessend, dass die meisten sterbenden Menschen schwer atmen und die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß ist, dass eines Tages die soeben noch schadenfreudigen Zeitungsmacher auch auf diese Weise von der Welt gehen werden.

Und was sagen unsere Kirchenvertreter? Sie nicken die neue Ethik brav und gehorsam, mit gesalbten Worten ab. Und werfen in Sekundenschnelle ihren Polizeiseelsorger aus dem Job, weil er im Namen von 600! Polizisten einen offenen Brief an den Innenminister richtet mit der Bitte, ungeimpfte Polizistinnen und Polizisten nicht länger zu diskriminieren und abzustrafen, ihre Sorge um die Rechtstaatlichkeit ernst zu nehmen und zu ermöglichen, dass sie nicht weiter den "überwiegend friedlichen Demonstrationen" drohend gegenüberstehen müssen. Sie bitten darum, ihre Kernaufgabe wieder aufnehmen zu dürfen: Für die Menschen da zu sein. (5) Die Folge ist der Rauswurf.

An Zukunftsvisionen mangelt es auch nicht, wenn es um die mindere Menschenklasse der Ungeimpften geht: Den Zutritt zu der Arbeitsstelle sollten wir ihnen verwehren, begeistert sich der Bürgermeister von Tübingen. Und danach die Rentenzahlung einstellen! Das Recht auf Sozialhilfe sollte man auch streichen, schwelgen so manche Politiker in Kreativitätswolken. Wir lassen ungeimpfte Jugendliche nicht zum Mittagessen, nicht zum Schulausflug, nicht zu einer Theateraufführung, nicht zum Eislaufen und auch nicht in die Musikausbildung, beschließen unsere Bildungsbeauftragten, gemeinsam mit dem teuer von uns bezahlten Antdiskriminierungsbeamten der Regierung. Rechtsbrecher sind diese Leute, in Handschellen sollte man sie zur Zwangsimpfung führen! - dröhnt es aus einer großen Tageszeitung. Und ein Verfassungsjurist fordert gleich die Zwangsisolierung; alles das natürlich unter neu geschaffenen, korrekten Gesetzesbedingungen. Und die sind in letzter Zeit sehr geschmeidig geworden.

Die neue ethische Erziehung, die wir jungen Menschen vermitteln, ist: kontrolliere, denunziere, verbiete, verachte, bestrafe, wirf sie hinaus!

Auch schafft es unsere Regierung in Handumdrehen, Menschen, die bisher einander vertrauten, jetzt gegeneinander aufzuhetzen: Polizisten gegen Fußgänger, Verkäuferinnen gegen Kunden, Lehrer gegen Schüler, Direktoren gegen Angestellte, Billeteure gegen Kinobesucher, Schaffner gegen Passagiere, Kinder gegen Eltern, Sportler gegen Sportler. Kontrolliere, denunziere, verbiete, verachte, bestrafe, wirf sie hinaus! - so der neue ethische Imperativ, den unsere Regierung tagtäglich den Bürgern, und vor allem heranwachsenden jungen Menschen vermittelt.

Diese, aus einschlägigen historischen Berichten bekannte Strategie, entfaltet eine doppelte psychische Wirkung: Zum einen stehen beide Gruppen, sowohl die Kontrollierenden als auch die Kontrollierten, unentwegt in Angst und Spannung. Denn beide Gruppen wissen, dass ein einziger Fehler ihren Job, sehr viel Strafgeld und ihre Existenz kosten würde. So fokussieren beide ihre gesamte Aufmerksamkeit auf die möglichst fehlerfreie Erfüllung der Verordnungen und Anordnungen. Folglich haben sie keine Ressourcen mehr frei, über die Absurdität und den Sinn dessen, was ihnen befohlen wurde, nachzudenken und auf die Stimme ihres Gewissens zu hören.

Die zweite psychische Wirkung entsteht durch die Indoktrination, die sich vor allem in jungen Menschen festsetzt: Kindern und Jugendlichen wird soeben beigebracht, dass "Solidarität", "Verantwortung", "Wertorientierung" und "wir schützen" bedeuten, dass man den Freund aus dem Kaufhaus wirft, vom Schilift, Eislaufplatz oder aus dem Tanzlokal entfernt, dass die Eltern Angst haben "erwischt" zu werden wenn sie in den Urlaub fahren wollen und die Schwester aus der Berufsausbildung fliegt, weil sie als Ungeimpfte keinen Praktikumsplatz mehr betreten darf.

Eine besonders perfide, aber aus einschlägigen historischen Berichten ebenso bekannte Strategie ließ sich der militante österreichische Kanzler Nehammer gerade einfallen.
Hierfür wird so viel Geld ausgegeben, wie es nötig wäre, um die Schwächen der Gesundheitsversorgung vielerorts leicht beheben zu können. Die Strategie ist: Eine Gemeinde, die eine hohe Impfquote vorweist, erhält eine hohe Belohnung, also viel Geld von der Regierung. Gemeinden, deren Mitglieder sich nicht so fleißig den Piks geben lassen, gehen leer aus. Alsbald werden sowohl die ethischen Siegergemeinden als auch die Loosergemeinden in der Tagesschau, quasi auf dem Marktplatz des XXI. Jahrhunderts, Millionen Menschen öffentlich zur Schau gestellt. So ist die kollektive Hochachtung vor den Guten und die Verachtung der Unmoralischen gewährleistet.
Zudem wird eloquent und juristisch korrekt, die altbekannte Sippenhaftung in unsere "Demokratie" wieder eingeführt. Um eine zeitgemäße Verdaulichkeit zu gewährleisten, packt man das wirksame Zur-Schau-Stellen von Sündern in den Begriff "Gemeindesolidarität" ein.

Mit dieser Strategie schiebt die Regierung die (sinnlose) Impfkontrolle weit weg von sich, direkt in das private Leben. Wen wundert es, wenn sich Misstrauen, Denunziation und die gegenseitige Abstrafung immer mehr in unser Miteinander hineinschleichen? "Hatte der Nachbar schon die Spritze? Seine Tochter bestimmt nicht und die wurde gerade achtzehn! Beim Bruder sind die sechs Monate schon längst um!", so müssen sich die Menschen fragen. Und wenn für den neuen Spielplatz oder für die Winterreinigung kein Geld mehr da ist, kennt man schon den Schuldigen: Der Ungeimpfte wars!
Man kann erwarten, dass bald ein Bürgermeister, der erpressbar ist, in Begleitung eines Polizisten hie und da energisch anklopft und wenn sich der Häuselbauer auch auf die sanfte Motivation hin nicht Impfen lässt, hilft ihm vielleicht eine Anzeige wegen eines nicht genehmigten Hühnerstalls, wegen der Erweiterung der Garage oder wegen einer kleinen Ordnungswidrigkeit auf die Sprünge. Die Strategie kann man in regelmäßigen Abständen wiederholen. Bis die Sache den gewünschten Erfolg zeigt.

Meine Mutter erschrak noch im hohen Alter, wenn sie sich an dieses gefürchtete "Anklopfen" der Geheimpolizei erinnerte. Und sie vergaß es ein Leben lang nicht, wie Menschen zumute war, wenn sie, in Sippenhaftung gezwungen, einander "bekehren", bespitzeln und denunzieren mussten.

Wenn "Rechtstaatlichkeit" lediglich eine schöne Wortfassade ist

Ob diese gekonnt inszenierten Psycho-Strategien uns nicht an frühere Zeiten erinnern? Kann es sein, dass jemand hier vergessen hat, dass die Menschen, die jetzt gedemütigt, ausgeschlossen, angezeigt und abgestraft werden, ein Leben lang hart gearbeitet und für jene Gesundheitsversorgung eingezahlt haben, die unsere verantwortungslosen Politiker kapitalisiert, abgebaut und in ihrer Funktionsfähigkeit zerstört haben? Ob wohl jemand noch bedenkt, dass die Würde des Menschen nicht antastbar ist? Vor allem aber müsste man fragen, ob die Regierung und die so genannten Qualitätsmedien bedenken, dass sie das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtstaatlichkeit verspielt haben: "Rechtstaatlichkeit" verkümmert soeben zu einer schönen Wortfassade.

Das, was den Menschen bisher als absolut, unverrückbar und unantastbar vermittelt wurde und durch Gesetze kategorisch geschützt war, verlor im Handumdrehen seine Gültigkeit. Und das, was in unserer Zeit als nicht mehr möglich schien, wird nun von den Regierenden in ihren neuen Gesetzen festgeschrieben. Und die Menschen wissen, dass das jederzeit wiederholbar ist. Das ist erschreckend.
Die logische Folge ist, dass zuerst wenige, und dann immer mehr Menschen auch gewaltsam dafür kämpfen werden, was in einem Rechtstaat eine Selbstverständlichkeit ist. Die Szenen der Gewalt werden in den Medien gekonnt hochgespielt und sie liefern den willkommenen Anlass dafür, dass der Staat seinerseits mit Gewalt reagiert. So wird die Bevölkerung immer stärker in eine Gewaltspirale hineingezogen. Ein völlig unnötiger Prozess, aus dem auszusteigen nicht einfach sein wird. Und man merke: Nicht das Virus, sondern die neuen Verordnungen, die unsere Politiker so gewissenlos beschließen, untergraben das Vertrauen und das Miteinander von Menschen.

Ob ich mich impfen ließ, um die Welt ein bisschen besser und sicherer zu machen, fragte mich ein Freund, der seinerseits zur Impfung ging, um wieder ein Restaurant besuchen, Tennis spielen, einkaufen, Schnitzel essen und eine Reise machen zu dürfen. Nein, mein Beweggrund war das nicht. Wenn ich die Welt etwas besser und sicherer machen wollte, würde ich mich dafür einsetzen, dass die neu aufgeflammte Feindschaft, die Überheblichkeit und das Kriegsstreben des Westens gegen den Osten in eine gute Nachbarschaft und in einen respektvollen Dialog verwandelt wird. Oder ich würde mich dafür einsetzen, dass unser Land zwischen Konfliktparteien vermittelt, anstatt diesen in noch nie dagewesener Höhe Waffen zu liefern.

Ganz wenige geben sich den "Stich" aus Solidarität mit dem Gesundheitswesen, das unsere Politiker demontiert haben

Warum sich die meisten Leute mit dem neuartigen Stoff impfen lassen? Es ist doch längst bekannt, dass etwa die Hälfte der Menschen sich impfen lässt, weil sie Angst vor einer Erkrankung oder vor dem Tod hat. Die andere Hälfte lässt sich impfen, weil sie mit der Spritze eine Bitte an ihre Obrigkeit richtet: Dass sie bitte, bitte erlauben möge, wieder reisen, ausgehen, einkaufen, schifahren und vor allem arbeiten, also finanziell überleben zu dürfen.

Natürlich erhoffen auch viele, auf diesem Wege der immer bedrohlicher werdenden Diskriminierung und Bestrafung durch die Regierenden entkommen zu können.

Ganz wenige geben sich den "Stich" aus Gründen der so oft eingeforderten Solidarität mit jenem Gesundheitswesen, das in den letzten Jahren durch unsere verantwortungslosen Politiker demontiert wurde.

Ich selbst gehöre zu der zweiten Hälfte der Bevölkerung. Durch die Impfung richtete auch ich ein Gesuch an meine Obrigkeit: Dass sie mir bitte erlaube, meinen kranken Sohn eines Tages in der Klinik besuchen zu dürfen.

Eigentlich wollte ich an den Bodyguards der Klinik, meinen QR-Code schwenkend, vorbeistolzieren. Galt doch zwei Wochen nach dem zweiten "Piks" mein ethisches Niveau und meine Solidarität mit der Gesellschaft als bewiesen und somit meine Bitte für den Besuch eines kranken Angehörigen großzügig bewilligt. Ja, mir wurde erlaubt, die Klinik, die auch ich mit meinen Steuergeldern finanziere, zu betreten!
Am Weg zum Eingang, draußen in der Dezemberkälte, stand eine ältere Frau neben einer frierenden Gestalt, es dürften Mutter und Tochter gewesen sein. So stand auch ich immer wieder da, neben meinem kranken Sohn, solange ich noch zu den ethisch Minderwertigen gehörte. Auch damals war es draußen dunkel und es fror uns beide.

Auf einmal verlor die staatlich verordnete Zuordnung von Gut und Böse ihre Gültigkeit

Die beiden erblickend, verlor die staatlich angeordnete Zuordnung von solidarisch und unsolidarisch, gut und böse ihre Gültigkeit. War wirklich ich der bessere Mensch, wie die neue Ethik der Regierung und der Leitmedien es verkündet? Oder war es die Mutter?

Sie, die in der Unwirtlichkeit da stand, um ihrer Tochter Mut und Trost zu spenden?

"Die Letzten werden die Ersten sein", heißt es im Markusevangelium. "Mal bist du die Taube und mal das Denkmal", drückt denselben Sachverhalt, vielleicht etwas flapsiger, Mark Twain aus. Ob eines Tages die Herabgesetzten bereit sein werden für uns zu sorgen, sofern die wahllose Dauerimpfung, wie einige Wissenschaftler uns warnen, in unserem Immunsystem mehr Schaden anrichtet als Nutzen? - fragte ich mich, während ich, nicht mehr ganz so stolz, den warmen Vorraum der Klinik betrat.

Dann fiel mir "das Gesetz der 3,5 Prozent" ein. (6) Es besagt, dass gewaltfreie Proteste Erfolg haben und Regierungen zu einer Kurskorrektur zwingen werden, wenn die Zahl der Menschen, die sich auflehnen, etwa 3,5 Prozent der Gesamtbevölkerung beträgt. Wie lange lassen wir, die jetzt "die Solidarischen" heißen, die Demütigung anderer noch zu, so stellte ich anfangs die Frage. Die Antwort liegt an uns allen.

Die Autorin:

Prof. Dr. rer. nat. Boglarka Hadinger, ist Psychologin und Psychotherapeutin, Leiterin des Instituts für Logotherapie und Existenzanalyse Tübingen/Wien.
Sie promovierte im Bereich der Psychoneuroimmunologie.
Die international bekannte Referentin ist Ausbilderin in Logotherapie und Existenzanalyse (Sinnzentrierte Psychologie nach Viktor Frankl).
2010 gründete sie die SINN-­BANK.
Sie setzt sich seit vielen Jahren für eine menschenfreundliche Architektur und Stadtgestaltung ein.
2004 erhielt sie den Viktor Frankl Preis der Stadt Wien.
www.logotherapie.net - [email protected]

Wir danken Frau Prof. Hadinger für die Erlaubnis zur Publikation dieses Artikels.

1. Publik-­‐Forum, Nr 23, vom 02. 12. 2021. S: 12-­‐14.
2. Publik-­‐Forum, Nr 23, vom 02. 12. 2021, S. 13
3. Servus-­‐TV, Nachrichten am 11. 01. 2022. 23h
4. Karl Nehammer wurde am 7. Januar 2022 als infektiös getestet, am 13. Januar war er noch immer infektiös und erst am 15. Januar ergab seine Testung ein negatives Ergebnis.
5. Der offene Brief ist abrufbar unter: [email protected]. Kardinal Schönborn kündigte den Polizeiseelsorger Uwe Eglau mit sofortiger Wirkung.
6. Chenoweth, E., Stephan, J.M: Why Civil Resistance Works. Columbia University Press, 2012


(01.02.2022/05.02.2022 - tho)

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